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Zur Bestandsüberlieferung und Bestandsgeschichte
Albrecht Kästner – Die Akten des Nationalen Verteidigungsrates der DDR (NVR) und seiner Vorläuferin – der Sicherheitskommission – befinden sich seit 1992/94 im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg im Breisgau. Sie sind dort in den Bestand DVW 1 „Ministerium für Nationale Verteidigung“ eingeordnet und bilden den Teilbestand „Hauptstab/Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates“.
Der Teilbestand besteht aus den Aktengruppen:
a) Sitzungen der Sicherheitskommission,
b) Sitzungen des Nationalen Verteidigungsrates
c) Unterlagen zur Schließung der Grenze am 13. August 1961
d) Militärische Bestimmungen.
Sicherheitskommission
Zum Vorläufer des NVR, der Sicherheitskommission, deren Akten nicht Teil des Online-Projektes sein sollten, im Folgenden einige Bemerkungen. Auf Beschluss des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der SED vom 8. September 1953 erfolgte die Bildung einer „Kommission für Sicherheitsfragen“. Der Kommission gehörten neben Walter Ulbricht, dem 1. Sekretär des Zentralkomitees, die Politbüromitglieder Hermann Matern, Otto Grotewohl, Willi Stoph und Karl Schirdewan an. Dazu kamen der Chef des Staatssekretariats für Staatssicherheit[1], Ernst Wollweber, und der Leiter der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen, Gustav Röbelen. Die eingeschränkte Anzahl ihrer Mitglieder deutet darauf hin, dass nicht einmal das Politbüro, als der engere Kreis der SED-Führung, in die zu behandelnden Probleme der Sicherheit oder was darunter auch verstanden wurde, einbezogen waren. Neben Fragen der SED wurden hier Entscheidungen zu Problemen der Kasernierten Volkspolizei, der Staatssicherheit, des Ministeriums des Innern, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse sowie zu Rechtsfragen getroffen. Mit Recht kann die Frage gestellt werden, war die Sicherheitskommission ein „Regierungsorgan oder ein Parteigremium?“[2]
Das erste Protokoll einer Sitzung der Sicherheitskommission[3] datiert vom 6. Juli 1954[4]. Auf dieser ersten Sitzung fehlte merkwürdigerweise der Vorsitzende Walter Ulbricht. Wer von den Mitgliedern teilgenommen hat ist auch nicht ersichtlich, da die Teilnehmer erst ab der 2. Sitzung aufgeführt werden. Beschlüsse wurden zur Kasernierten Volkspolizei gefasst: u. a. wird dem Aufbau einer „Sonderabteilung West“ in der Politverwaltung der KVP zugestimmt. Deren Existenz ist aber in den Akten der KVP später nicht nachweisbar. Eine Vorlage der Sicherheitsabteilung über die weitere Verbesserung der politischen Arbeit in der KVP wurde zurückgestellt und war nach Rückkehr Ulbrichts in veränderter Form erneut vorzulegen.
Beschlüsse zur Staatssicherheit betreffen die Auswertung „einer durch das Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) durchzuführenden journalistischen Aktion.
Für den 10. – 14. Juli 1954 wurde eine Entlassungsaktion aus dem Zuchthaus Waldheim festgelegt. Neben der Bestätigung der Geschäftsordnung des SfS, die im Protokoll leider nicht vorliegt, erfolgte zur besseren Überwachung durch die SED-Spitze die Einsetzung eines Parteiorganisators des ZK. Beschlüsse zur Arbeit der Volkspolizei betrafen u. a. die Werbung, die „mehr in aller Stille“ durchzuführen ist. Auch die Stellung der Abteilung für Sicherheitsfragen sollte gegenüber den Leitungen und Dienststellen der VP und des SfS gestärkt werden. Im Jahr 1954 wurde noch eine Sitzung durchgeführt, die dann auch die Anwesenheit aller Mitglieder der Kommission festhielt. Von 1955 bis 1959 fanden jeweils 5 bzw. 6 Sitzungen statt und im Januar 1960 noch eine Zusammenkunft, bevor im Februar der Nationale Verteidigungsrat gebildet wurde. Neben Fragen der äußeren und inneren Sicherheit, wurde auch die Ausschaltung missliebiger Parteifunktionäre wie Paul Merker und Max Fechner oder die Begnadigung von Fritz Sperling, der auf Weisung der SED-Spitze in Haft saß, beschlossen. In den Jahren von 1957 bis 1959 behandelte die Kommission verstärkt Fragen der Volkswirtschaft sowie der Einsatzleitungen[5].
Nationaler Verteidigungsrat
Der NVR gehörte zu den unter strenger Geheimhaltung arbeitenden Institutionen der DDR. Er wurde in Nachfolge der Sicherheitskommission des Zentralkomitees der SED durch Gesetz der Volkskammer im Februar 1960 gebildet. Vorsitzende waren die Generalsekretäre der SED Walter Ulbricht (1960 – 1971), Erich Honecker (1971 – 1989) und Egon Krenz (1989). Der NVR wurde gemäß Artikel 50 der Verfassung der DDR von der Volkskammer gewählt. Der Staatsrat berief die Mitglieder (Artikel 73). Die Namen der Mitglieder des NVR wurden – mit Ausnahme des Namens des Vorsitzenden und des Sekretärs – niemals bekannt gegeben. Der NVR arbeitete auf der Grundlage eines Statutes, das mehrmals geändert wurde. Die Statuten nahmen Bezug auf die Beschlüsse der Parteitage und Direktiven der Parteiführung der SED, die Verfassung der DDR, Gesetze und andere Rechtsvorschriften sowie auf Rechtsverordnungen des Staatsrates. Entsprechend den Festlegungen des Verteidigungsgesetzes von 1978 hatten alle staatlichen Organe die Maßnahmen durchzuführen, die der NVR in seinen Rechtsakten (Anordnungen und Beschlüssen) festgelegt hatte.
Die Protokolle der 29 Sitzungen der Sicherheitskommission, die bis Januar 1960 abgehalten wurden, wie auch die 78 Protokolle des Nationalen Verteidigungsrates von 1960 bis 1989 liegen nur als Ergebnisprotokolle vor. Eine Ausnahme bildet die 45. Sitzung vom 3. Mai 1974, über die der Sekretär des NVR, Generalleutnant Fritz Streletz, eine Niederschrift anfertigen ließ, weil ihn der erkrankte Verteidigungsminister Heinz Hoffmann darum gebeten hatte[6]. In jener Sitzung hatte Honecker gefordert, dass bei Grenzdurchbrüchen rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht werden sollte.
Der Hauptstab der NVA im Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) war im Frieden das militärische Planungs- und Koordinierungsorgan[7]. Deshalb wurde 1971 auch der spätere Generaloberst Streletz als Sekretär des Gremiums berufen. Allerdings hatte er weit weniger Kompetenzen als Erich Honecker, der diese Funktion zu Zeiten des Vorsitzenden Ulbricht bekleidete. Die Protokolle sind seit 1971 umfangreicher und mit Anlagen versehen. Hier ist die Arbeitsweise und ordnende Hand des Generalstäblers Streletz zu sehen. Die Vorlagen wurden meist vor der jeweiligen Sitzung durch mehrere Ratsmitglieder mitgezeichnet. Redebeiträge zur Begründung der Vorlagen finden sich in den Protokollen ebenso wie Vorschläge für die abschließenden Bemerkungen des Vorsitzenden. Gelegentlich hat Honecker hier Veränderungen bzw. Streichungen vorgenommen. Auffallend ist – insbesondere in den Achtzigerjahren – die Kürze der Sitzungen, was möglicherweise den Schluss zulässt, dass die wirklichen Entscheidungen nicht im Nationalen Verteidigungsrat, sondern im Politbüro des ZK der SED getroffen wurden.
Die Vorlagen zu den Sitzungen wurden per Kurier den Mitgliedern des NVR überbracht. Da die Vorlagen mit der Geheimhaltungsstufe „Geheime Verschlusssache“ (GVS) bzw. „Geheime Kommandosache“ (GKS) versehen sind, waren die Geheimhaltungsbestimmungen strikt einzuhalten. Nach Bestätigung des Protokolls wurden die Beschlüsse dem bestätigten Personenkreis zugeleitet. Die Protokolle selbst wurden in der VS-Stelle des Hauptstabes archiviert. Das im MfNV existierende Zwischenarchiv erhielt davon jedoch keine Kenntnis. Erst im Januar 1990 wurde dem Militärarchiv der DDR vom Chef der Verwaltung Militärwissenschaft mitgeteilt, dass die Akten im Hauptstab verwahrt werden. In der damaligen unsicheren politischen Lage bestand die Gefahr, dass diese Unterlagen vernichtet würden. Der Direktor des Militärarchivs forderte dann auch, die Akten direkt nach Potsdam, den damaligen Standort des Archivs, abzuliefern. Der damalige Vorgesetzte im Hauptstab der NVA lehnte das ab und versprach, die Akten in das Zwischenarchiv des MfNV einzulagern. Tatsächlich verblieben die Akten aber in Panzerschränken im MfNV, Haus 3, Zimmer 232. Auf die Gefahr, dass Akten vernichtet würden, wies das Militärarchiv in einem Brief an den Chef des Hauptstabes hin und unterbreitete den Vorschlag, eine Beratung mit Vertretern des Archivs mit dem Ziel durchzuführen, die Vernichtung historisch wertvollen Schriftgutes zu verhindern. Leider reagierten die Vorgesetzten des Archivs nicht. Vielmehr wurde die Vernichtung von schriftlichen Unterlagen nicht nur zugelassen, sondern sogar angeordnet. Die Protokolle des NVR jedoch konnten vollzählig gesichert werden. Am 19. Januar 1990 erfolgte auf Initiative eines Berliner Bürgerkomitees durch den Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft die Versiegelung von Panzerschränken im MfNV. Das Protokoll vermerkt dazu: “In den versiegelten Panzerschränken befinden sich die Protokolle aller Sitzungen des Nationalen Verteidigungsrates seit seinem Bestehen sowie alle herausgegebenen Grundsatzdokumente.“ Vorausgegangen war ein Schreiben des Generalstaatsanwalts an den Minister für Nationale Verteidigung, in dem die Unterbindung von Aktenvernichtungen gefordert wird.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 verblieben die Akten zunächst in der Außenstelle des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) in Strausberg. Von dort wurden sie zur Strafverfolgung im Prozess gegen die Mitglieder des NVR an das Kammergericht Berlin ausgeliehen. Nach Erledigung kamen die Akten in den Monaten September bis November 1992 an das Militärische Zwischenarchiv Potsdam. Sie wurden dort für das Landgericht Berlin vorgehalten und schließlich 1994 in das Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg verbracht. Ein vorläufiges Findbuch wurde im Jahre 2004 abgeschlossen.
[1] Das Ministerium für Staatssicherheit hatte nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 seinen Status verloren und war bis 1955 als Staatssekretariat in das Ministerium des Innern eingegliedert.
[2] Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED, Berlin 2002, S. 64.
[3] Die Kommission trug unterschiedliche Bezeichnungen: Sicherheitskommission, Sicherheitskommission des ZK der SED, Sicherheitskommission des Politbüros.
Inhalte und Aufgaben änderten sich aber nicht. Wegen ihrer Zusammensetzung hatte sie vermutlich noch einen höheren Rang als das Politbüro.
[4] Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED, S. 71 f.
[5] Ausführlich zu den Inhalten der Sitzungen Wenzel, Kriegsbereit. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR 1960 bis 1989, Köln 1995, S. 17 – 26.
[6] Ebenda, S. 38.
[7] Statut des NVR von 1981, in: DVW 1/ 39525.
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Glückwunschschreiben der Botschaft der UDSSR anläßlich der Ernennung Erich Honneckers zum Mitglied des NVR.
Quelle: Bundesarchiv
Nachlass Erich Honecker; NY 4167 Nr. 19
Foto: Ramona Simon
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